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Geschichte „Broken Arrow“

Die USA vermissen 17 Atombomben. Mindestens

Die A-Bombe, die jetzt vor Kanada entdeckt wurde, ist kein Einzelfall. Allein für die USA werden 700 Zwischenfälle geschätzt. Wie viele Kernwaffen andere Mächte „verloren“ haben, weiß niemand.
Mark 28 Atombombe Mark 28 Atombombe
Wasserstoffbomben vom Typ B28 gingen bei den Unfällen 1966 in Spanien und 1968 auf Grönland verloren
Quelle: Wikimedia/US Air Force/Public Domain

Wie ein vier Meter großer „aufgeschnittener Bagel“ soll das Objekt aussehen, das der kanadische Taucher Sean Smyrichinsky jetzt vor der Küste British Columbias entdeckt hat. Viel spricht dafür, dass es sich um den Rest einer seit 66 Jahren vermissten Atombombe vom damals neuesten Typ Mark 4 handelt.

Die Liste der Unfälle mit solchen Waffen ist lang. Allein die USA vermissen mindestens acht voll explosionsfähige Bomben. Außerdem weitere neun, die zwar nicht mit dem Spaltstoff Plutonium geladen waren, wohl aber andere radioaktive Substanzen enthielten – meist abgereichertes Uran. Für solche Zwischenfälle hat sich weltweit der Ausdruck „Broken Arrow“ eingebürgert. In den USA bezeichnet dieses Codewort einen Zwischenfall mit Nuklearwaffen gleich welcher Art.

Die angegebenen Zahlen variieren allerdings stark, denn es gibt sehr unterschiedliche Definitionen: Ist eine Kernwaffe ohne Plutonium, die also keine Kettenreaktion auslösen kann, überhaupt eine nukleare Waffe? Was ist mit Waffen, die – atomar geladen oder nicht – beim Absturz eines Flugzeugs nachweislich zerstört wurden? Werden radioaktive Ladungen, die ohne die aufwendige Technik zur Auslösung einer Kernspaltung verloren gingen, mitgezählt oder nicht?

Außerdem gibt es einigermaßen gesicherte Zahlen nur für eine Atommacht, die USA. Für die Sowjetunion existieren nur wenige Informationen, meist zu Untergängen von Atom-U-Booten. Wie viele Flugzeuge der Roten Armee Kernwaffen verloren haben, ist vollkommen unbekannt.

Schätzungen allein für die USA gehen von insgesamt bis zu 700 Zwischenfällen aus, bei den denen bis zu 1250 Kernwaffen betroffen waren. Diese Statistik bezieht allerdings ausdrücklich nicht geladene Kernwaffen sowie sämtliche Zwischenfälle in Kernwaffenfabriken ein.

In den ersten anderthalb Jahrzehnten des Atomwaffen-Zeitalters waren US-Kernwaffen stets so aufgebaut, dass der Plutoniumkern leicht ein- und wieder ausgebaut werden konnte. So sollte das Risiko einer ungewollten Atomexplosion reduziert werden, etwa im Fall eines Flugzeugabsturzes. Allerdings können Plutoniumatome nicht nur mit verheerender Freisetzung von Energie gespalten werden, sondern strahlen in jedem Fall tödliche Dosen Radioaktivität aus. Außerdem sind schon wenige Mikrogramm hochtoxisch.

Der erste bekannte Zwischenfall, bei dem eine US-Atomwaffe verloren ging, war der Absturz eines strategischen Bombers vom Typ B-36 am 13. Februar 1950 vor der kanadischen Westküste. Die nicht nuklear geladene Bombe wurde abgeworfen; der konventionelle Sprengstoff explodierte beim Aufprall. Den Rest dieser Bombe könnte jetzt Sean Smyrichinsky entdeckt haben.

Ja
80 Kilometer vor der Westküste Kanadas wurde jetzt womöglich die 1950 verlorene Atombombe gefunden
Quelle: Infografik Die Welt/ZGB grafik

Allein 1950 gab es vier weitere, ähnliche Zwischenfälle. Einmal wurde ein Areal am Sankt-Lorenz-Strom durch abgereichertes Uran verschmutzt. 1956 stürzte dann ein Düsenbomber vom Typ B-47 ins Mittelmeer. Er hatte zwar keine Atombomben an Bord, aber zwei Plutoniumkerne, von denen nie eine Spur gefunden wurde.

Nach mehreren weiteren Unfällen kam es dann am 31. Januar 1958 zum ersten Unfall mit einer scharfen und voll einsatzbereiten US-Kernwaffe: In Marokko stürzte eine B-47 ab und brannte vollständig aus. Die Bombe vom Typ Mark 6 detonierte nicht, verstrahlte aber die Umgebung.

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Nur fünf Tage später musste die Besatzung einer B-47 nach einer Kollision mit einem Jagdflugzeug eine Wasserstoffbombe vom Typ Mark 15 vor der US-Ostküste nahe der Stadt Savannah abwerfen. Die große Waffe konnte bis heute nicht gefunden werden. Während die US Air Force mitteilte, sie habe keinen nuklearen Kern enthalten, sagte der Kommandant der B-47 das Gegenteil.

Nach den Recherchen des Journalisten Eric Schlosser verhinderte am 24. Januar 1961 nur ein klemmender Schalter eine atomare Explosion über North Carolina. Allerdings ist Schlosser umstritten, seine Publikationen werden von unabhängigen Militärexperten als sensationsheischend kritisiert.

Nach einigen weiteren Zwischenfällen mit nuklear nicht geladenen Bomben kam es 1962 gleich zu mehreren Beinahe-Katastrophen: Vom Johnston-Atoll im westlichen Pazifik wurden mehrere Raketen mit Wasserstoffbomben gestartet, die in großer Höhe explodieren sollten.

Beim ersten Versuch am 4. Juni stützte der Sprengkopf ins Meer und wurde nie gefunden. Beim zweiten am 20. Juni detonierte die Ladung in zehn Kilometern Höhe und verseuchte Teile des Atolls. Der dritte Versuch am 9. Juli gelang wie geplant, während 17 Tage später die nächste Rakete auf der Startrampe explodierte und nukleares Material in einem Umkreis von mehreren Kilometern verteilte. Im Oktober und November folgten noch ein weiterer Fehlschlag sowie vier erfolgreiche Starts mit Explosionen in Höhen zwischen 21 und 147 Kilometern.

Auch die US Navy hatte immer wieder Probleme mit ihren Kernwaffen. Am 5. Dezember 1965 etwa rutschte zwischen Taiwan und Japan ein Jagdbomber samt Pilot und einer scharfen Wasserstoffbombe vom Deck des Flugzeugträgers „USS Ticonderoga“. Im hier 4900 Meter tiefen Meer wurde nie eine Spur gefunden.

The nuclear submarine USS Scorpion is seen in the Atlantic Ocean in 1968 - The nuclear attak submarine Scorpion which was reported overdue at sea by the Pentagon May 27, 1968. A defense department statement said the sub had been scheduled to return to Norfolk, Va., at 1 P.M. May 27 at the end of a routine training operation. The Scorpion was last heard from May 21, 1968. This June 27, 1960, Handout picture shows the "USS Scorpion" nuclear-powered attak submarine (SSN-589) at New London, Ct., USA during builders trials. Vice Admiral Hyman G. Rickover is standing on her sailplanes with another officer. (AP-Photo/ag/u.s. Navy-HO) June 08, 2000 |
Beim Untergang der "USS Scorpion" 1968 bei den Azoren gingen auch zwei Atom-Torpedos verloren
Quelle: picture alliance / AP

Zwei Atomtorpedos gingen im Mai 1968 beim nicht aufgeklärten Untergang des Jagd-U-Bootes „USS Scorpion“ verloren. Das Wrack liegt in 3380 Metern Tiefe südwestlich der Azoren.

Der wohl bekannteste Fall eines „Broken Arrow“ ist der Absturz einer B-52 mit vier Wasserstoffbomben an Bord über dem Südosten Spaniens 1966. Dabei ging allerdings im engeren Sinne keine Atombombe verloren.

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Zwar schlugen drei Waffen an Land ein und die letzte im Mittelmeer. In zweien detonierte der konventionelle Sprengstoff auch; das dadurch verteilte nukleare Material verseuchte etwa 180 Hektar Felder. Die oberen Erdschichten wurden auf Kosten des US-Militärs abgetragen und entsorgt. Die dritte Bombe wurde schwer beschädigt an Land und die vierte einigermaßen intakt aus 870 Metern Meerestiefe geborgen.

Unklar ist, ob beim Absturz eines B-52-Bombers nahe des Stützpunktes Thule auf Grönland am 21. Januar 1968 eine Bombe verloren ging. Sicher ist, dass Bruchstücke von mindestens drei Wasserstoffbomben aufgefunden werden konnten, nach offiziellen Angaben sogar von allen vieren. Das jedoch ziehen Atomwaffen-Gegner immer wieder in Zweifel. Jedoch stimmt die Menge des sichergestellten Plutoniums etwa mit der Primärladung von vier Bomben überein; es war jedenfalls deutlich mehr als in drei Bomben. Aber dänischen Aktivisten genügt das nicht: Sie fordern regelmäßig neue Untersuchungen.

Seit 1968 ist nach offiziellen Angaben keine US-Nuklearwaffe mehr verloren gegangen. Damals verfügten die Amerikaner über knapp 32.000 Sprengköpfe, heute sind es immer noch etwas mehr als 5000.

Da es tatsächlich keine auch nur annährend vergleichbaren Suchaktionen wie 1966 in Südostspanien mehr gegeben hat, spricht viel dafür, dass diese Angabe zutrifft. Beruhigend ist das nur bedingt. Denn wie viele Kernwaffen andere Mächte „verloren“ haben, weiß niemand.

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Nach 50 Jahren wird aufgeräumt

Im Jahr 1966 fielen vier Wasserstoff-Bomben bei einem Unfall auf die Küste des südspanischen Dorfes Palomares. Das dadurch verteilte nukleare Material verseuchte etwa 180 Hektar Felder.

Quelle: Zoomin.TV

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